Am Zunfttag
Weil's der Brauch so will, versammeln sich alljährlich, am 2. Sonntag nach Hl. Dreikönig, die Lingenauer Handwerker zu ihrem Zunfttag, Meister, Gesellen und Lehrlinge werden an diesem Tag mit Musikbegleitung in die Kirche und von dort zur Jahreshauptversammlung mit anschließendem Zunftmahl geführt.
Wie kam es dazu?
Mit dem ausgehenden Mittelalter setzte eine nie gekannte Blüte des Handwerks ein. Die Handwerker, ihrer Stärke bewusst, schlossen sich europaweit zusammen. Die Zünfte entstanden. Bald einmal bildeten sie einen ernstzunehmenden wirtschaftlichen und politischen Faktor.
Einigkeit macht stark
Das sagten sich auch die Wälder Handwerker. Jahr für Jahr verließen am Josephitag Handwerker das Tal und wanderten als Saisonarbeiter durch halb Europa. Der Gedanke des organisierten Handwerks machte auch in Lingenau nicht halt. Bereits 1659 gaben sich die Handwerker aus dem Gericht Lingenau die ersten Satzungen. Dieses Zunftbuch, in rotem Samt gebunden, verschwand während des Zweiten Weltkrieges spurlos. Im Jahre 1672 gaben sich die „Maurer und Zimmerleuth“ die zweite Zunftordnung. Dieses, 63 Artikel umfassende Werk – ebenfalls in rotem Samt gebunden – ist noch vorhanden. Diese zweite Zunftordnung ist zweifellos ein der Zeit angepasstes Werk. Es enthält alles, was damals für den Handwerkerstand wichtig war:
• die Regeln über die Ausbildung,
• das Verhalten in der Gesellschaft,
• die Vermehrung des Wissens und Könnens,
• Förderung der sozialen Sicherheit
Dass die erste Zunftordnung von 1659 bereits nach 113 Jahren ersetzt wurde, weist ganz deutlich auf die rasche Entwicklung des Handwerks in unserem Dorf hin. Waren es anfänglich nur die traditionellen Bauberufe der Maurer und Zimmerleute, die sich zusammenschlossen, stießen bald auch andere Handwerker dazu. Im Zunftbüchel von 1758 hieß es: die ehrbare Meisterschaft der Maurer, Steinhauer, Zimmerleuth, Schreiner, Beckhen, Müller, Schumacher, Barbiere Bierbrauer, Gerber, Schneider, Schlosser, Huf- und Waffenschmidt, Sattler, Seiler, Metzger, Glaser, Tuchweber, Wagner,...“.
Und weiter heißt es:
Durch allhießigen Zunftmeister und Vorgesetzten wird allen Handwerks Leuten was Porfession sie immer sind, so dieser Zunft einverleibt...
Der Artikel weist auf die Öffnung der Lingenauer Zunft für alle Berufe hin. Man verzeichnet ausdrücklich auf eine abschließende Begrenzung,sondern lässt die Tür auch für andere „Professionen“, wie immer sie in Zukunft auch heißen mögen, offen. Aus dem Aufdingbuch von 1717 und dem Meisterbuch von 1769 ist die Entwicklung des Handwerks in Lingenau ersichtlich. Im 18. Jahrhundert tauchten die ersten Gipser und Stuckateure auf. In der zweiten Hälfte des gleichen Jahrhunderts ging man daran, die alten Saumwege befahrbar zu machen. Damit kamen die ersten eisenbeschlagenen Räder auf. Aus dem Huf und Waffenschmied wurde der Huf und Wagenschmied. Mit der Abkehr vom Ackerbau und der Einführung der Milchwirtschaft musste Heugeschirr hergestellt werden. Damit kam der Gabelmacher auf. Dort, wo der Landmüller jahrhundertelang das Korn der Lingenauer Bauern mahlte, ging mit dieser Umstellung logischerweise die Arbeit aus. An Stelle des Müllers nutzte fortan der Schmied die Wasserkraft. Aus der Landmühle wurde eine Hammerschmiede. Eine zweite derartige Schmiede befand sich auf dem Kapf (Haus Nr. 60. Das Haupterzeugnis dieser beiden Schmieden waren lange Zeit Nägel. Deshalb gab es auch den Beruf des Nagelschmiedes. Dieser verkaufte damals seine Produkte nicht pro Kilo, sondern per Stück.
Der Name „Barbier“ gerät langsam in Vergessenheit. Früher war das der einzige Gesundheitssachverständige im Dorf. Er zog Zähne, besorgte den Aderlass und hantierte mit dem Rasiermesser.
Mit dem Aufkommen des Obstbaues brauchte man auch Fässer. Damit wurde der Beruf des Küfers sesshaft. In Lingenau hielt sich dieses Handwerk bis nach dem zweiten Weltkrieg. Auch dem Handwerk des Goldschmiedes waren nur rund 100 Jahre vergönnt. Er hatte sein Geschäft im Haus Nr. 240.
Als Strümpfe und Socken noch nicht im Laden erhältlich waren, hatte in Lingenau der Strumpfmacher sein Nebeneinkommen. Mit dem Einsetzen der industriellen Anfertigung verschwand dieses Handwerk auch in Lingenau. Geblieben ist der Hausname „Strumpfer“
Das gleiche Schicksal wiederfuhr auch dem Nadelmacher. Sein Handwerk war während der kurzen Zeit der Stickerei gefragt. Der letzte Nadelmacher betrieb sein Handwerk im Haus Nr. 146. Zum Polieren der Nadeln nutzte er das Wasser des Oberbuch- Baches. Mit dem Niedergang der Stickerei nach dem Ersten Weltkrieg brauchte man auch keine Nadeln mehr. Das Handwerk starb aus. Der Hausname „Nodlmachers“ blieb aber erhalten.
Nicht besser ging es dem Handwerk des Drechlers (Dreier). Spinnräder und Holzteller sind Erzeugnisse, die heute nicht mehr gefragt sind.
Auch der Kellenmacher konnte mit seiner Handarbeit nicht mehr mithalten. Er verschwand aus dem Zunftbuch wie aus dem Dorf. In Vergessenheit geraten ist auch das Handwerk des Kalkbrenners. Da es in Lingenau keine Kalksteine gab, musste er seinen Beruf auswärts ausüben.
Rund 200 Jahre hielt sich die Schlosserei im Dorf. Das war noch die Zeit, als man Schloss und Schlüssel als handwerkliche Einzelanfertigung herstellte. Mit dem Aufkommen der industriell hergestellten Türschlösser, „Schloss der Schlosser“ auch seine Tür für immer.
Längst schon brauchten wir keinen Tüchelbohrer mehr. mit dem aufkommen der Eisenrohre ging auch dieses Handwerk unter.
Mitten im damaligen Hof betrieb gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts auch der Rotgerber Konrad Fetz sein Handwerk. Das arg verschmutzte Abwasser leitete er in den Höfler Graben. Nun nutzte der Landmüller Josef Bilgeri den Bach zum Antrieb des großen Wasserrades. Für den entsetzlichen Gestank, den das Gerbereiwasser in der Landmühle hinterließ, machte Bilgeri den damaligen Propst Achberger verantwortlich und haftbar, weil ja er als Eigentümer des Baches im Hof die Einleitung des Abwassers gestattet. Als der Probst aber auf diese Vorhallte nicht reagierte, trat der Landmüller in einen Streik, indem er dem Probst den Haberzehent verweigerte. Nach langen Streitereien zog Bilgeri dann doch den kürzeren,
Im Jahre 1802 zahlte er den uralten Zehent – und der Bach stank weiter, bis die Gerberei dann im letzten Jahrhundert einging.
Wenn wir die alten Bücher durchblättern, erfahren wir manches Interessante über das eben und Zusammenleben der Handwerker. Wir staunen aber auch über die Vielfalt der einstmaligen ansässigen „Professionisten“, von denen wir nur ganz wenige für einen kurzen Moment betrachtet haben.
Aufleger in der Zunft
Neben den ordentlichen Mitglieder waren in der Zunft auch noch die „Aufleger“ vertreten. Heute würde man sagen „Freimitglieder“. Es waren Leute, die die Zunftmitgliedschaft als Ehre betrachteten. Gleichzeitig war es aber auch für die Zunft eine Auszeichnung, wenn sie angesehenen Aufleger hatte.
In der Regel waren es die jeweiligen Landamänner und Propste, die ihre „Auflage“, das heißt ihren Beitrag und gewöhnlich noch etwas mehr bezahlten.