Lingenauer Handwerk in aller Welt

Im Verkündbuch des Jahres 1758 heißt es:

... es soll und mag ein jährlicher Jahrestag gehalten werden am ersten Dienstag nach Heilig 3 König-Tag ... für alle abgestorbenen Brüder... in Sonderheit für Handwerksleuth, die in fremden Ländern und Orten wandern auch etwa an unkatholischen orten sich befinden oder krank liegen...

Gar mancher, im Verkündbuch aufgeführte Handwerker, verstarb irgendwo auf der Wanderschaft. So finden wir Begräbnissorte: Freiburg, Belgrad, Bünden, Cognac, Überlingen, Elsaß, Lothringen, Pfalz, Pfullendorf, Einsiedeln, Mainz, Weingarten und andere.

Die Lingenauer Zunft weist keine großen Namen auf, die mit Bauwerken untrennbar verbunden sind. Trotzdem dürfen wir aber annehmen, dass sie mit dabei waren, als die Wälder Handwerker Großartiges auf dem Gebiet der Barockbaukunst schufen.

Die neue Zeit

Anfangs des letzten Jahrhunderts wurde Europa von politischen Unruhen und Kriegen erschüttert. Nach der napoleonischen Zeit kam die Phase der Aufklärung, die antiklerikale Strömung führte europaweit zu den bekannten Klosteraufhebungen, Innert weniger Jahre verschwanden damit die wichtigsten Arbeitgeber von der Bildfläche. Die weltlichen Herren, die die Kloster- und Kirchengüter übernahmen, dachten nicht im entferntesten an eine Pflege des Kunstgutes oder gar an eine Weiterführung der Tradition. Mit dem Aufhören der Bautätigkeit brauchte man auch keine Bauhandwerker mehr. Davon wurden auch die Lingenauer Handwerker betroffen. Der Niedergang der Zunft setzte ein. Die wirtschaftliche und soziale Unsicherheit führte zu internen Spannungen. Am Zunfttag des Jahres 1832 stellten die Handwerker von Hittisau den Antrag, sich von der Lingenauer Zunft zu trennen. Im Protokoll dieses Tages beklagt sich der Schreiber über den Mangel an „Bruderliebe und Vertrauen“. Die Trennung wurde beschlossen, das Zunftvermögen geteilt und der Weg des gemeinsamen Handelns verlassen. In der Lingenauer Zunft verblieben fortan noch die Langenegger Handwerker. Der 12. Jänner 1885 war wieder ein schwarzer Tag. Gerade noch 30 Mitglieder trafen sich an diesem Tag zum Zunftmahl. Das erste Mal in der 200-jährigen Geschichte ließ sich niemand mehr neu einschreiben. Wozu auch? Aus der Zunft war in der Zwischenzeit eine Gewerbegenossenschaft geworden, die dann 1898 noch in drei Fachgenossenschaften unterteilt wurde. Mit einer Flut von Verordnungen versuchte der Staat die alten Zunftordnungen zu ersetzen. Mit dem Niedergang der Zunft setzte aber auch der Niedergang des Handwerks in seiner ganzen Vielfalt ein. Was aber weit schwerer wog, war die Aufgabe traditioneller Vorstellungen. Das Handwerk wurde zunehmend nur noch als Broterwerb erstanden. Die Rolle des Meisters, als Vater oder zumindest als Vaterstellvertreter seiner Lehrlinge verschwand.

Nach dem Ersten Weltkrieg besannen sich einige Alt-Meister auf diese Werte. Die wussten zwar, dass man das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen konnte. Trotzdem wagten sie den Versuch, an die alte Tradition anzuknüpfen und die Zunft neu zu beleben. Zwar werden am Zunfttag die alten Artikel nicht mehr verlesen, trotzdem aber spürt jeder, ob Meister, Geselle oder Lehrling: „Ich bin ein Glied in der langen Kette. Auf mich und meine Arbeit kommt es an.“

 

Am Zunfttag

Weil's der Brauch so will, versammeln sich alljährlich, am 2. Sonntag nach Hl. Dreikönig, die Lingenauer Handwerker zu ihrem Zunfttag, Meister, Gesellen und Lehrlinge werden an diesem Tag mit Musikbegleitung in die Kirche und von dort zur Jahreshauptversammlung mit anschließendem Zunftmahl geführt.

Wie kam es dazu?

Mit dem ausgehenden Mittelalter setzte eine nie gekannte Blüte des Handwerks ein. Die Handwerker, ihrer Stärke bewusst, schlossen sich europaweit zusammen. Die Zünfte entstanden. Bald einmal bildeten sie einen ernstzunehmenden wirtschaftlichen und politischen Faktor.

Einigkeit macht stark

Das sagten sich auch die Wälder Handwerker. Jahr für Jahr verließen am Josephitag Handwerker das Tal und wanderten als Saisonarbeiter durch halb Europa. Der Gedanke des organisierten Handwerks machte auch in Lingenau nicht halt. Bereits 1659 gaben sich die Handwerker aus dem Gericht Lingenau die ersten Satzungen. Dieses Zunftbuch, in rotem Samt gebunden, verschwand während des Zweiten Weltkrieges spurlos. Im Jahre 1672 gaben sich die „Maurer und Zimmerleuth“ die zweite Zunftordnung. Dieses, 63 Artikel umfassende Werk – ebenfalls in rotem Samt gebunden – ist noch vorhanden. Diese zweite Zunftordnung ist zweifellos ein der Zeit angepasstes Werk. Es enthält alles, was damals für den Handwerkerstand wichtig war:

•  die Regeln über die Ausbildung,

•  das Verhalten in der Gesellschaft,

•  die Vermehrung des Wissens und Könnens,

•  Förderung der sozialen Sicherheit

Dass die erste Zunftordnung von 1659 bereits nach 113 Jahren ersetzt wurde, weist ganz deutlich auf die rasche Entwicklung des Handwerks in unserem Dorf hin. Waren es anfänglich nur die traditionellen Bauberufe der Maurer und Zimmerleute, die sich zusammenschlossen, stießen bald auch andere Handwerker dazu. Im Zunftbüchel von 1758 hieß es: die ehrbare Meisterschaft der Maurer, Steinhauer, Zimmerleuth, Schreiner, Beckhen, Müller, Schumacher, Barbiere Bierbrauer, Gerber, Schneider, Schlosser, Huf- und Waffenschmidt, Sattler, Seiler, Metzger, Glaser, Tuchweber, Wagner,...“.

Und weiter heißt es:

Durch allhießigen Zunftmeister und Vorgesetzten wird allen Handwerks Leuten was Porfession sie immer sind, so dieser Zunft einverleibt...

Der Artikel weist auf die Öffnung der Lingenauer Zunft für alle Berufe hin. Man verzeichnet ausdrücklich auf eine abschließende Begrenzung,sondern lässt die Tür auch für andere „Professionen“, wie immer sie in Zukunft auch heißen mögen, offen. Aus dem Aufdingbuch von 1717 und dem Meisterbuch von 1769 ist die Entwicklung des Handwerks in Lingenau ersichtlich. Im 18. Jahrhundert tauchten die ersten Gipser und Stuckateure auf. In der zweiten Hälfte des gleichen Jahrhunderts ging man daran, die alten Saumwege befahrbar zu machen. Damit kamen die ersten eisenbeschlagenen Räder auf. Aus dem Huf und Waffenschmied wurde der Huf und Wagenschmied. Mit der Abkehr vom Ackerbau und der Einführung der Milchwirtschaft musste Heugeschirr hergestellt werden. Damit kam der Gabelmacher auf. Dort, wo der Landmüller jahrhundertelang das Korn der Lingenauer Bauern mahlte, ging mit dieser Umstellung logischerweise die Arbeit aus. An Stelle des Müllers nutzte fortan der Schmied die Wasserkraft. Aus der Landmühle wurde eine Hammerschmiede. Eine zweite derartige Schmiede befand sich auf dem Kapf (Haus Nr. 60. Das Haupterzeugnis dieser beiden Schmieden waren lange Zeit Nägel. Deshalb gab es auch den Beruf des Nagelschmiedes. Dieser verkaufte damals seine Produkte nicht pro Kilo, sondern per Stück.

Der Name „Barbier“ gerät langsam in Vergessenheit. Früher war das der einzige Gesundheitssachverständige im Dorf. Er zog Zähne, besorgte den Aderlass und hantierte mit dem Rasiermesser.

Mit dem Aufkommen des Obstbaues brauchte man auch Fässer. Damit wurde der Beruf des Küfers sesshaft. In Lingenau hielt sich dieses Handwerk bis nach dem zweiten Weltkrieg. Auch dem Handwerk des Goldschmiedes waren nur rund 100 Jahre vergönnt. Er hatte sein Geschäft im Haus Nr. 240.

Als Strümpfe und Socken noch nicht im Laden erhältlich waren, hatte in Lingenau der Strumpfmacher sein Nebeneinkommen. Mit dem Einsetzen der industriellen Anfertigung verschwand dieses Handwerk auch in Lingenau. Geblieben ist der Hausname „Strumpfer“

Das gleiche Schicksal wiederfuhr auch dem Nadelmacher. Sein Handwerk war während der kurzen Zeit der Stickerei gefragt. Der letzte Nadelmacher betrieb sein Handwerk im Haus Nr. 146. Zum Polieren der Nadeln nutzte er das Wasser des Oberbuch- Baches. Mit dem Niedergang der Stickerei nach dem Ersten Weltkrieg brauchte man auch keine Nadeln mehr. Das Handwerk starb aus. Der Hausname „Nodlmachers“ blieb aber erhalten.

Nicht besser ging es dem Handwerk des Drechlers (Dreier). Spinnräder und Holzteller sind Erzeugnisse, die heute nicht mehr gefragt sind.

Auch der Kellenmacher konnte mit seiner Handarbeit nicht mehr mithalten. Er verschwand aus dem Zunftbuch wie aus dem Dorf. In Vergessenheit geraten ist auch das Handwerk des Kalkbrenners. Da es in Lingenau keine Kalksteine gab, musste er seinen Beruf auswärts ausüben.

Rund 200 Jahre hielt sich die Schlosserei im Dorf. Das war noch die Zeit, als man Schloss und Schlüssel als handwerkliche Einzelanfertigung herstellte. Mit dem Aufkommen der industriell hergestellten Türschlösser, „Schloss der Schlosser“ auch seine Tür für immer.

Längst schon brauchten wir keinen Tüchelbohrer mehr. mit dem aufkommen der Eisenrohre ging auch dieses Handwerk unter.

Mitten im damaligen Hof betrieb gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts auch der Rotgerber Konrad Fetz sein Handwerk. Das arg verschmutzte Abwasser leitete er in den Höfler Graben. Nun nutzte der Landmüller Josef Bilgeri den Bach zum Antrieb des großen Wasserrades. Für den entsetzlichen Gestank, den das Gerbereiwasser in der Landmühle hinterließ, machte Bilgeri den damaligen Propst Achberger verantwortlich und haftbar, weil ja er als Eigentümer des Baches im Hof die Einleitung des Abwassers gestattet. Als der Probst aber auf diese Vorhallte nicht reagierte, trat der Landmüller in einen Streik, indem er dem Probst den Haberzehent verweigerte. Nach langen Streitereien zog Bilgeri dann doch den kürzeren,

Im Jahre 1802 zahlte er den uralten Zehent – und der Bach stank weiter, bis die Gerberei dann im letzten Jahrhundert einging.

Wenn wir die alten Bücher durchblättern, erfahren wir manches Interessante über das eben und Zusammenleben der Handwerker. Wir staunen aber auch über die Vielfalt der einstmaligen ansässigen „Professionisten“, von denen wir nur ganz wenige für einen kurzen Moment betrachtet haben.

Aufleger in der Zunft

Neben den ordentlichen Mitglieder waren in der Zunft auch noch die „Aufleger“ vertreten. Heute würde man sagen „Freimitglieder“. Es waren Leute, die die Zunftmitgliedschaft als Ehre betrachteten. Gleichzeitig war es aber auch für die Zunft eine Auszeichnung, wenn sie angesehenen Aufleger hatte.

In der Regel waren es die jeweiligen Landamänner und Propste, die ihre „Auflage“, das heißt ihren Beitrag und gewöhnlich noch etwas mehr bezahlten.

CHRONIK | Handwerkerzunft Lingenau

Zeittafel der Lingenauer Zunft


Um 1650

wurde die Auer Zunft als erste des Bregenzerwaldes gegründet. Auch Handwerker aus dem Gericht Lingenau fanden dort Aufnahmen. Das war zwei Jahre nach Ende des 30-jährigen Krieges und
14 Jahre nach der großen Pestzeit.

1659

Das Gericht Lingenau hat eine eigene Zunft. Aus diesem Jahr stammt das erste in rotem samt gebundene Zunftbuch mit den Zunftartikeln.

1672

Die „Maurer-und Zimmerleuth“ im Gericht Lingenau geben sich die 2. Zunftordnung, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat.

1758

Heißt es, dass die Zunft erweitert würde. Neben den Maurern und Zimmerleuten finden wir nun auch Steinhauer, Schreiner, Bäcker, Müller, Schuhmacher, Barbierer, Bierbrauer, Gärder, Schneider, Schlosser, Huf- und Waffenschmiede, Sattler, Seiler, Metzger, Glaser, Tuchweber und Wagner.

1768

Aus diesem Jahre stammt das älteste bekannte Dokument, ein Lehrzeugnis vom Gericht Lingenau.

1789

Die französische Revolution bricht aus, in der Folge setzt europaweit eine Zeit von den Klosteraufhebungen ein. Damit erlischen fast alle Bautätigkeiten und damit auch die Änderung der Wälder-Handwerker.

1805

Vorarlberg kommt zum Königreich Bayern. Das Gericht Lingenau wird aufgelöst. Es wurden Gemeinden nach bayerischem Muster eingerichtet.

1815

Die Lingenauer sind wieder Österreicher, aber mit der Zunft und mit dem Handwerk geht es bergab.

1832

Man hat sich auseinander gelebt. Daher lösen sich die Handwerker von Hittisau, Bolgenach und Sibratsgfäll, von Lingenau und gründeten eine eigene Zunft. Die wenigen Habseligkeiten werden aufgeteilt. Bei der lingenauer Zunft verbleibt somit nur noch Langenegg. Die bisherigen Statuten wurden übernommen. Die Meister mussten sich einkaufen, welche den ewigen Gulden zahlten.


1885

Die Zunft ist wieder auf Talfahrt. Auch staatliches Geheim ist aus ihr in der Zwischenzeit eine Gewerkschaft geworden. Der kann jeder mitmachen, sofern er ein eigenes Gewerbe besitzt. Zum ersten Mal, in der mehr als 200-jährigen Geschichte lässt sich in diesem Jahr auch niemand mehr einschreiben.

1887

Zur Schlichtung der Streitigkeiten wurde ein neues Statut ohne Widerspruch zur modernen Werbeordnung gestellt. Alle feindlichen, dem Handwerk zu wieder laufenden sind für jeden Meister bei Strafe von 5 Gulden verboten! Wenn ein Meister das weiß und nicht anzeigt, wird ein Gulden verrechnet.

1898

Die Gewerbegenossenschaft wird nochmals aufgeteilt. Voran gibt es 3 Fachgenossenschaften. Eine für Handel, Schank- und Verkehrsgewerbe, eine zweite für die handwerksmäßigen Gewerbe und eine dritte für das Stickereigewerbe. Der Staat versucht mit einer Flut von Verordnungen und Gesetzen die alt-bewährten Zunftverordnung zu ersetzten.

1914

Bricht der erste Weltkrieg aus. Die lingenauer Handwerker werden Soldaten. Das ohnehin schon kümmerliche Vereinsleben verlischt.

1925

Die Zunft soll zum neuen Leben erweckt werden. Aber das Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden. Die neue Zunft soll daher als Traditionsverein weitergeführt werden. Die Gründer sind :

•  Konrad Sutterlüty - Schreinermeister

•  Kaspar Natter – Bäckermeister

•  Albert Steuer – Schneidermeister

•  Kaspar Nußbaumer – Schmiedemeister

1939

Der 2. Weltkrieg bricht aus. Lingenauer Zünflter finden wie an den Fronten zwischen Polarkreis und Nordafrika, zwischen Moskau und Atlantik. Viele kehrten nicht mehr zurück.

1989

Der kriegsblinde Handwerker Anton Herburger stiftet eine neue Vereinsfahne, nachdem die alte Fahne, die nach dem Dorfbrand von 1866 angeschafft wurde, beim Brand der „Traube“ 1973 vernichtet wurde. Mehr ...

1994

Österreich tritt der EU bei. Damit geht die Welt für die lingenauer Zünftler wieder weiter, doch mit neuen Herausforderungen.

2006

Die Lingenauer Zunft geht mit der Zeit. Diese ist nun auch auf dem Internet erreichbar und orientiert sich in Zukunft über dieses Medium über Vereinsanlässen, personelles Handwerkliches und Informatives.

 

VereinsfahneVereinsfahne.html
MitgliedsbetriebeMitgliedsbetriebe.html
AktuellesAktuelles.html
MitgliederMitglieder.html
ArchivArchiv.html
Chronik
StatutenStatuten.html
AusschussAusschuss.html
LinksLinks.html
KontaktKontakt.html